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Der Schädel von Drigge: Sind alte Knochen nicht eklig?

Für eine Archäologin sind Knochen nicht eklig. Es ist eine organische Substanz, die sich über Jahre bis Jahrtausende erhalten hat. Je älter Knochen werden, desto mehr versteinern sie, das heißt sie werden zu Stein. 

Bei Knochenfunden unterscheiden wir Knochen von Menschen und von Tieren. Tierknochen hatten wir alle schon in der Hand, wenn wir zum Beispiel ein Hähnchen essen. Finden wir das eklig? Eigentlich nicht, oder? Solche Tierknochen wandern bei uns in den Müll, so wie auch in früheren Zeiten. Wenn wir einen Knochen aus dem Müll oder aus der Toilette nehmen müssten, dann fänden wir das aber schon eklig. Das kann bei einer Ausgrabung auch passieren. Da im Müll oder in der Toilette (Latrine) aber meist viele interessante Funde gemacht werden, muss man da durch. Archäologen haben dabei Handschuhe an und im Gegensatz zu einer Latrine riecht ganz alter Hausmüll auch nicht mehr schlecht.

In der Vor- und Frühgeschichte waren Tierknochen wichtig, um daraus Werkzeug oder Waffen (z.B. Pfeilspitzen) herzustellen. Auch Flöten wurden häufig aus Knochen hergestellt wie diese mittelalterliche Flöte aus Stralsund, die man mit einer Hand spielen konnte.

Der Umgang mit Menschenknochen ist respektvoller. An sich sind diese Knochen auch nicht eklig und unterscheiden sich nur durch ihre Form von Tierknochen. Die sterblichen Überreste von Menschen werden schon seit der Steinzeit besonders behandelt, mit Respekt und auch dem Gebot, sie zu meiden (Tabu). Meist werden verstorbene Menschen je nach Glaube, z.B. an ein Leben nach dem Tod, beerdigt. Im religiösen Sinn wird die Ungestörtheit eines Körpers im Grab oft als Bedingung für das Leben nach dem Tod oder die Auferstehung des Verstorbenen angenommen, weshalb Friedhöfe und Gräber häufig stark geschützte und mit Tabus belegte Orte sind.

In der archäologischen Betrachtung geben Menschenfunde Aufschluss über unsere Vergangenheit. Knochen wie der Schädelrest des Menschen von Drigge – gefunden auf der gleichnamigen Halbinsel bei Rügen – können uns viel verraten. Der Schädel weist Spuren einer scharfen Klinge auf. Man hat den Toten skalpiert. Warum man das vor 7000 Jahren gemacht hat, können die Archäologen oder Anthropologen leider nicht mehr genau rekonstruieren. Vermutlich war dies Bestandteil des damaligen Totenrituals.

Nicht nur die Spuren am Schädel geben uns Hinweise auf den Menschen, sondern auch seine Knochenstruktur und seine DNA. Man kann anhand bestimmter Werte nachweisen, was er damals gegessen hat. Als Küstenbewohner aß er viel Fisch. Seine DNA, die sich im Ohr erhalten hatte, gibt uns Aufschluss darüber, wie er aussah. Es konnte nachgewiesen werden, dass der Mensch von Drigge dunkle Haut und blaue Augen hatte. Das ist für unsere Region für die Zeit vor 7000 Jahren typisch. Die damaligen Jäger und Sammler nahmen über Fisch auf dem Speiseplan ausreichend Vitamin D auf. Wir sind heute hellhäutiger, um über die Haut besser Vitamin D aus Sonnenlicht erzeugen zu können.

Wie er wohl aussah, der Mensch von Drigge? Auf dem Plakat für "Museum auf der Straße" machen wir hierzu einen Vorschlag. 

"Für eine Archäologin sind Knochen nicht eklig." (Claudia Hoffmann, STRALSUND MUSEUM)